TEM WTF? – Die 5 Basics der Traditionellen Europäischen Medizin

Einleitung

TEM, TEN, TAM, TEH – diese Abkürzungen stehen für die Traditionelle Europäische bzw. Abendländische Medizin resp. (Natur-)Heilkunde. Diese Heiltradition ist keineswegs neu, sondern ein Schatz an Wissen, der in Europa seit Jahrhunderten weitergegeben wurde. Dennoch sind die Bezeichnungen weitgehend unbekannt.

Auch mir war der Begriff der TEM komplett neu, als ich ihm 2019 das erste Mal begegnete. Doch es machte für mich von Anfang an Sinn. Und so bezeichne ich mich heute – und vermutlich noch die nächsten 20 Jahre – als Schülerin der TEM. Ich erhebe nicht den Anspruch, eine Expertin zu sein, ich teile lediglich meine bisherigen Einblicke und freue mich, wenn ihr mich begleitet.

Eine Medizin, die in meinem Kulturkreis, in meinem Klima geboren und entwickelt worden ist. Die den Menschen als Individuum betrachtet, die nicht das Symptom und die Krankheit in den Mittelpunkt stellt, sondern die Konstitution und die daraus entstehenden Bedürfnisse der Person.

Mich auf die traditionelle europäische Medizin zu spezialisieren hat sich von Anfang an richtig angefühlt – ich habe mich direkt Zuhause gefühlt. Sowohl das Thema der kulturellen Aneignung hat mir zuvor immer wieder Bauchschmerzen bereitet, als auch die Bedeutung von Regionalität, Saisonalität und traditioneller Spiritualität für mein Leben und die Welt. Mit Phytotherapeutika und Methoden, die in meiner Umgebung geboren sind, ergeben sich viele Probleme der Anwendbarkeit erst gar nicht.

In Deutschland wird diese Therapierichtung oft unter dem Begriff „Naturheilkunde“ zusammengefasst und vor allem von Heilpraktiker:Innen praktiziert. Dazu gehören Methoden wie Schröpfen, Blutegeltherapie, Massagen, Hildegard-Medizin, Schüssler-Salze, Homöopathie und Ohrakupunktur.

Oft fehlt hier jedoch ein ganzheitlicher, systemischer Ansatz, um die Therapien zur tatsächlichen Traditionellen Europäischen Naturheilkunde (TEN) zu machen. Vergleichbar ist diese Holistik mit dem Ayurveda und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) – jedoch mit europäischen Wurzeln. 

Meine persönliche Reise zur TEM begann zufällig, doch schnell erkannte ich, dass dieses Wissen genau das war, wonach ich gesucht hatte: eine Medizin, die in meinem Kulturkreis entstanden ist, sich nach den Gegebenheiten meiner Umgebung richtet und die natürliche Anpassungsfähigkeit des Körpers stärkt. Besonders faszinierend finde ich die Vier-Säfte-Lehre, die unsere Gesundheit als ein dynamisches Zusammenspiel von Wärme, Feuchtigkeit, Trockenheit und Kälte beschreibt – Prinzipien, die wir intuitiv oft schon selbst anwenden.

In diesem Artikel lernst du die Grundlagen der TEM kennen und erfährst, wie du sie für dein Wohlbefinden nutzen kannst.

Inhaltsverzeichnis

1. Was ist die Traditionelle Europäische Medizin (TEM) – Eine Definitionsannäherung

Die Traditionelle Europäische Medizin (TEM) ist ein Ansatz, der sich auf die Erforschung und Anwendung traditioneller Heilmethoden und -konzepte aus ganz Europa konzentriert. Auch die Begriffe TEN – Traditionelle Europäische Naturheilkunde, TEH – Traditionelle Europäische Heilkunde und TAM – Traditionelle Abendländische Medizin sind gebräuchlich. 

Die europäische Medizin ist ein eigenständiges System mit einer reichen Geschichte und einem umfangreichen Repertoire an Heilpraktiken. 

Die TEM basiert auf jahrhunderte altem Wissen, das den Menschen als Ganzes betrachtet – Körper, Geist und Seele in Harmonie mit der Umwelt. Anders als die moderne Medizin, die oft nur Symptome behandelt, setzt die TEM auf die Balance der individuellen Konstitution und nutzt:

  • Heilpflanzen
  • Ernährung
  • Bewegung
  • Manuelle Anwendungen (z. B. Massagen, Schröpfen)
  • Psychohygiene

Die TEM ist ein geschlossenes medizinisches System: philosophische, ethische und menschliche Aspekte sind Teil der Medizin. Heilung geht also vom Gesamtorganismus aus – es besteht ein Zusammenspiel von körperlichen, mentalen und seelischen Faktoren. Damit spielt nicht zuletzt die Lebensführung eine entscheidende Rolle.

Die allgemeine Naturheilkunde arbeitet oft mit einem ähnlichen, symptomorientierten Ansatz wie die konventionelle Medizin – lediglich mit naturheilkundlichen Mitteln. Die TEM ist keine Alternative zur modernen Medizin, sondern eine ergänzende Methode, die uns helfen kann, bewusster mit unserem Körper umzugehen. Entscheidend ist der philosophische Hintergrund, der alle Herangehensweisen prägt.

2. Elemente der TEM – Feuer, Wasser, Luft und Erde

Die “Gesundheit des Ganzen” ist die Voraussetzung für die Gesundheit des Einzelnen, und die Gesundheit des Individuums ist die Voraussetzung dafür, dass eine globale Gesundheit möglich wird – körperlich, seelisch, geistig und spirituell. – Wintgen, Webersberger 2015

Der TEM liegt eine Elementenlehre zugrunde: ebenso wie der Makrokosmos “Welt” sich aus den Einzelelementen zusammensetzt, so tut dies auch der Mikrokosmos Lebewesen bzw. Mensch. Elemente meinen das Zusammenspiel von Materie und Energie. Dieses Zusammenspiel kann auf einer Achse von Energie und Struktur dargestellt werden. 

Grafik zu Qualitäten der Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde hinsichtlich ihrer Feuchtigkeit und Wärme.
Die Elemente der TEM und ihre Qualitäten

Was zunächst abstrakt anmutet, meint die Grundlagen des Lebens selbst: Wärme und Feuchtigkeit – Energie und Substanz. Sie können jeweils ineinander umgewandelt werden. Wasser kann zu heißem Dampf werden, heißer Dampf kann durch Mangel an Wärme, also Abkühlung, kondensieren und wieder zu Wasser werden. Ein Verlassen des Spektrums ist mit dem Leben jedoch nicht vereinbar. Lebewesen brauchen sowohl ein gewisses Maß an Wärme als auch an Feuchtigkeit, um überleben zu können.

Diese Urkräfte des Lebens müssen darüber hinaus immer bewegbar bleiben und bewegt werden, denn auch Stillstand (z.B. durch Austrocknung oder zu große Kälte) bedeutet das Ende des Lebens. Diese Ur-Elemente finden wir bereits in der antiken Naturphilosophie, bzw. auch in der Entstehungsgeschichte. Feuer ist Energie und setzt damit die Dinge in Bewegung, das Element Wasser nährt sie.

Die Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde enthalten immer alle vier Qualitäten: feucht und trocken, warm und kalt. Lediglich ihre Gewichtung ist unterschiedlich und bestimmt dadurch ihre Wirkung.

Das Denkmodell der TEM basiert auf den klassischen Elementen:

  • Feuer (Energie, Bewegung, Hitze)
  • Wasser (Flüssigkeit, Nährung, Feuchtigkeit)
  • Luft (Leichtigkeit, Bewegung, Veränderung)
  • Erde (Struktur, Festigkeit, Stabilität)

Diese Prinzipien spiegeln sich in der Natur, aber auch in unserem Körper wider. Ziel ist es, sie im Gleichgewicht zu halten. Dieses Wissen wurde über Generationen weitergegeben und bildet die Grundlage der TEM.

3. Die Vier-Säfte-Lehre – Ein Blick auf das innere Gleichgewicht

Die Elemente des Makrokosmos spiegeln sich im Mikrokosmos Mensch in den Säften, den sog. Humores. 

Die Vier-Säfte-Lehre (Humoralmedizin) ist die Grundlage der TEM, die bis auf Hippokrates und Galen zurückgeht. Sie beschreibt die Gesundheit als Zusammenspiel der vier Körpersäfte:

  • Phlegma (Schleim): kalt und feucht
  • Sanguis (Blut): warm und feucht
  • Cholera (Gelbgalle): heiß und trocken
  • Melancholera (Schwarzgalle): kalt und trocken

Ein Ungleichgewicht dieser Säfte kann zu Krankheiten führen. Die TEM strebt daher die Wiederherstellung der Balance an.

Krankheit basiert laut dem Denkmodell auf “dyscrasia”, einer quantitativen Dysbalance auf der Ebene der Säfte, also ein Zuviel oder Zuwenig, welches ausbalanciert werden sollte. Ein gesunder Organismus kann sich optimal an äußere Reize – insofern sie nicht zu groß werden – anpassen. Das heißt also: bin ich in meinem Gleichgewicht, kann ich mich z.B. im Winter an die Kälte und im Sommer an die Wärme anpassen. Bin ich nicht in meinem persönlichen Gleichgewicht, ist mir diese Reizadaptation nicht mehr möglich.

Mit Säften (“Humores”) sind keine realen Substanzen gemeint, sondern es handelt sich um eine Metapher. Ziel war, die Funktionsprinzipien des lebenden Organismus zu einer Zeit verständlich zu machen, zu welcher die Anatomie und Physiologie noch nicht einmal in den Kinderschuhen steckte. Wir können uns damit die Funktionen, welche im menschlichen Körper an Flüssigkeiten gebunden sind und damit in den Flüssigkeitssystemen transportiert werden besser vorstellen.

Übersicht-Grafik Vier-Säfte-Lehre

Es gibt vier Säfte im Menschen, die unterschiedlichen Elementen entsprechen. Jeder nimmt in einer anderen Jahreszeit zu und ist in einem bestimmten Lebensabschnitt vorherrschend. Blut (Luft) herrscht im Frühling und in der Kindheit vor, Gelbgalle (Feuer) im Sommer und in der Jugend, Schwarzgalle (Erde) im Herbst und im Mannesalter, Phlegma (Wasser) im Winter und im Greisenalter. – Corpus Hippocraticum

5. Temperamente und Konstitutionstypen

Jeder Mensch hat eine individuelle Konstitution, die eine Mischung aus zwei dominierenden Temperamenten sein kann:

  • Sanguiniker:In (Luft) – lebensfroh, kommunikativ, aktiv
  • Choleriker:In (Feuer) – energiegeladen, zielstrebig, hitzig
  • Melancholiker:In (Erde) – nachdenklich, tiefsinnig, ruhig
  • Phlegmatiker:In (Wasser) – gelassen, bedacht, langsam

So spricht man von Phlegmatiker:in, Sanguiniker:in, Choleriker:in und Melancholiker:in mit einem dominanten Flügel eines benachbarten Temperaments. Durch diese Kombinationsmöglichkeiten ergeben sich 12 unterschiedliche constitutio, also Konstitutionen.

Die richtige Therapie orientiert sich an der individuellen Konstitution. Nur so können die Erkrankungsursachen bearbeitet werden. Eine Behandlung anhand der Symptomatik oder gar der Krankheitsbezeichnung allein ist nicht ausreichend. Die Autoren Garvelmann und Raimann schreiben: “Jeder Kardinalsaft repräsentiert eine klar definierte Kombination der Qualitäten warm und feucht bzw. deren Defizit.” Eine Balance aller Säfte ist nicht notwendig, denn jeder Charakter ist unterschiedlich. Die Konstitution zeigt sich mitunter im Charakter, im Körperbild und auch in den Krankheiten der Person. Lediglich eine “intemperatio”, eine situativ humorale Situation, die sich pathologisch äußert, ist behandlungsbedürftig. Behandelt wird also erst, wenn sich das Individuum krank fühlt oder zeigt.

5 Therapien in der TEM

Angepasst an die Konstitution und die Bedürfnisse des Individuums, werden erwärmende, kühlende, befeuchtende oder trocknende Therapieverfahren angewendet. Dies bezieht sich z.B. auch auf die Phytotherapie. Daher muss zum gekonnten Einsatz der Heilkräuter die Zuordnung zu den Qualitäten der Temperamente (warm, kalt, feucht, trocken) bekannt sein. Die Grundfrage der TEM lautet daher nicht, welche Heilpflanze gegen welches Leiden hilft, sondern welches Mittel durch seine spezifische Wirkung die dem Leiden zugrunde liegende humorale Situation verbessert.

6. TEM in der modernen Medizin

Auch heutige Therapiemethoden können in dieses traditionelle System eingeordnet werden. (Ausnahmen wie beispielsweise die Chirurgie bestätigen die Regeln.) Die moderne Medizin und die TEM müssen sich nicht ausschließen. Während die moderne Medizin auf wissenschaftlicher Forschung basiert, bringt die TEM wertvolle Erkenntnisse aus Jahrtausenden mit. Eine integrative Medizin kombiniert das Beste aus beiden Welten.

Die Komplexität des Wunderwerks menschlicher Körper verhindert, dass wir auf allen Gebieten SpezialistInnen sein können. Und so ist es ein Traum, dass es so viele Fachbereiche gibt, die versuchen bis ins Detail zu begreifen, wie dieses System funktioniert. Nur so können Einzelpersonen auf ihrer Reise von Gesundheit und Krankheit ideal unterstützt werden.

7. Impuls zum Selbst-Erspüren: Dein persönliches Gleichgewicht finden

Nimm dir einen Moment Zeit und beobachte deinen Körper:

  • Fühlst du dich warm oder kalt? Hast du immer kühle Hände und Füße? Brauchst du selbst im Sommer einen Pullover?
  • Wenn du eine Erkältung hast: Ist dein Husten eher trocken und deine Temperatur erhöht oder läuft dir die Nase und du hast Schüttelfrost?
  • Hast du mitunter Rückenschmerzen? Was fühlt sich dann gut an: eine kühle Auflage oder möglichst viel Wärme? Was hilft dir: Bewegung oder Ruhe?
  • Wie fühlst du dich nach einem warmen Essen? Oder bevorzugst du eher Rohkost?

Häufig nutzen wir diese Gegensätze ganz intuitiv: ist dir kalt, so trinkst du ein warmes Getränk. Im Hochsommer hingegen kann das Wasser manchmal nicht kalt genug sein. 

Spür mal drüber nach: Welche Elemente erkennst du in deinem Alltag wieder? Wie kannst du dein persönliches Gleichgewicht fördern?

Diese kleinen Beobachtungen können dir helfen, deine Balance leichter zu finden.

8. Zusammenfassung: TEM als ganzheitlicher Ansatz zur Selbstwahrnehmung

Die wichtigsten Basics der Traditionellen Europäischen Medizin können wir folgendermaßen zusammenfassen: 

  1. Der Makrokosmos spiegelt sich im Mikrokosmos: Alles besteht aus den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde
  2. Die Qualitäten warm und kalt, feucht und trocken prägen alles Sein.
  3. Die Funktionsprinzipien im Körper zeigen sich durch die Vier Säfte: Sanguis, Cholera, Melancholera, Phlegma 
  4. Jede Person hat ihr eigenes Gleichgewicht – entscheidend ist das individuelle Temperament: Sanguiniker:In, Choleriker:In, Melancholiker:In, Phlegmatiker:In
  5. Therapien in der TEM orientieren sich am individuellen Konstitutionstyp
  6. Die Behandlung erfolgt nach holistischen Grundsätzen auf der Ebene von Körper, Geist und Seele und berücksichtigt idealerweise die Säulen Heilpflanzen, Ernährung, Bewegung, Manuelle Anwendungen und Psychohygiene

Man könnte jetzt der Traditionellen Europäischen Medizin vorwerfen, sie fördere Schubladendenken. Sie beurteile Menschen nach ihrem Aussehen. Und spreche die Möglichkeit der Veränderung ab. Für mich jedoch ist sie ein Ansatz, die Medizin von heute, die die Individualität nur unzureichend abbildet, zu ergänzen. Dogmatische Vorgaben und fixe Vorstellungen wie Menschen in bestimmten Gegenden zu sein hätten lehne ich ab. Schriftliche Quellen können Ansätze bieten, müssen jedoch in die heutige Zeit übersetzt werden. Ich sehe die TEM als eine Theorie der Toleranz, da sie anerkennt, dass Menschen unterschiedlich sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Und so kann die TEM ein Ansatz sein, ein Hilfsmittel, um meine eigene und wenn du magst auch deine Selbstwahrnehmung zu stärken. Denn im Endeffekt braucht jede Person ihre ganz eigene “Medizin” – und nur wir selbst sind Expert:Innen für uns. Ebenso wie die TEM anerkennt, dass kein Mensch von außen geheilt werden kann. Die innere Heiler:In kann lediglich unterstützt werden. 

Die TEM ist eine wertvolle Ergänzung zur modernen Medizin. Sie hilft uns, unseren Körper besser zu verstehen und durch gezielte Anwendungen in Balance zu bleiben. Die Vier-Säfte-Lehre bietet ein Modell, um unser Wohlbefinden aktiv zu beeinflussen. Die TEM ist keine starre Wissenschaft, sondern eine Einladung, die eigene Körperwahrnehmung zu schärfen und gesundheitsbewusste Entscheidungen zu treffen. 

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